Phrase, Pomp und Propaganda
Nein, fröhlich, beschwingt und weltoffen wie
heute darf man sich Deutsche Turnfeste auch vor 1933 nicht
vorstellen. Seit 1860, der ersten Veranstaltung dieser Art, waren
sie von Pathos und Patriotismus geprägt. Doch was sich bei der
Einweihung des neuen Stadions während des 15. Deutschen Turnfests
zwischen dem 21. und 30. Juli 1933 in Stuttgart abspielt, ist mehr
als eine Zäsur. Es ist „der Abschluss der ersten Phase der
Machtergreifung der NSDAP in Stuttgart", wie der Sporthistoriker
Hajo Bernett schreibt. Eine von unzähligen noch folgenden
Masseninszenierungen, auf die sich die braunen Machthaber so
vortrefflich verstehen. Mit vielen Fackeln und Fahnen sowie jeder
Menge Pomp und Phrasen in aggressiv-nationalistischem und
rassistischem Ton. Allerdings haben die Turner selbst ganze
Vorarbeit geleistet. Schon vor 1933 werden die seit über 100 Jahren
gepflegten demokratischen Grundsätze über Bord geworfen und durch
das Prinzip von Befehl und Gehorsam ersetzt. Maßgeblich daran
beteiligt ist Turnjugendführer Edmund von Neuendorff, der die
Deutsche Turnerschaft als ersten Sportverband auf stramm
nationalsozialistischen Kurs bringt.
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links: Die Festwiese gegenüber
dem Stadion im Jahre 1933 |
Spätestens in Stuttgart will er der Führerschaft
um Adolf Hitler „vollarisierte" Riegen, frei von Juden und
Marxisten, präsentieren. „In gewaltigem Anlauf sind überaltete
Formen zerbrochen, ist Neues geschaffen worden, das jetzt ausgebaut
und mit neuem Inhalt gefüllt werden muss.
Dazu müsst auch ihr, deutsche Turner und
Turnerinnen, mithelfen!" Der Appell der württembergischen Regierung
im Staatsanzeiger bleibt nicht ungehört: Am 21. Juli 1933 treffen
die zahlreichen Teilnehmer mit Sonderzügen am Stuttgarter
Hauptbahnhof ein. An drei Stellen formieren sich Festzüge, die zum
Cannstatter Wasen marschieren. „Die Turner und Turnerinnen in weißer
Kleidung, die Angehörigen der Reitervereine in roten und die Jäger
in grünen Kostümen", beobachtet der Chronist, „dazu viele
Trachtengruppen und Mitglieder der Winzergenossenschaften verleihen
den Festzügen ein farbenprächtiges Bild."
Nach dem Einmarsch der Sportler, SA- und
SS-Abteilungen und Gruppen des Bundes deutscher Mädchen (BDM)
schreitet Karl Strölin zur Tat: Vor 40 000 Zuschauern hält der
Oberbürgermeister die Weiherede auf die „Adolf-Hitler-Kampfbahn",
natürlich nicht ohne den Hinweis, „dass hinter den Kämpfen des
friedlichen turnerischen Wettbewerbs ein tiefer nationaler Sinn
steht".

oben: Foto von der Festwiese für insgesamt 100 000 Personen gegenüber dem
Stadion.
Die Tribüne der Festwiese wurde extra für das Deutsche Turnfest 1933
interimsweise errichtet.
Dies kommt in den nächsten Tagen des Turnfestes,
das zu jener Zeit die Bedeutung von heutigen Olympischen Spielen
hat, auch deutlich zum Ausdruck: Neben Turnmeisterschaften und
anderen sportlichen Wettkämpfen wie Leichtathletik, Degenfechten,
Schwimmen oder Rudern steht erstmals Wehrturnen auf dem Programm:
ein paramilitärischer Dreikampf, bei dem die Teilnehmer, Jungturner
in „Gleichtracht" und Mannschaften des Akademischen Turnerbunds in
SA-Uniform, unter Drahtzäunen durchkriechen, Keulen werfen und
danach in volle Deckung gehen sowie mit dem Luftgewehr feuern. Ganz
im Sinne von Hans von Tschammer und Osten. Der neue
Reichssportkommissar empfiehlt den Turnern, den „gesunden
soldatischen Geist der braunen Armee" aufzunehmen. Nicht minder
martialisch sind die Worte von Propagandaminister Joseph Goebbels,
der am 29. Juli auf dem Wasen vor 500 000 Menschen spricht.
Am
nächsten Tag folgt die Schlussveranstaltung - und für alle
Nazi-Anhänger der Höhepunkt des „gewaltigsten Volksfestes, das je
auf der Erde gefeiert wurde" (Festzeitung): Nach dem Einzug von 42
000 Turnern und 17 000 Turnerinnen in 40 Kolonnen in die Kampfbahn
taucht während des Massenspeerwerfens mit 200 Studenten überraschend
der Führer selbst auf. Überraschend, weil Hitler Stuttgart nach dem
„Kabelattentat", als dem Diktator im Februar 1933 von Gegnern der
Strom gekappt wurde, nicht zu seinen Lieblingsstädten zählt. Doch
diesmal - rund 200 potenzielle Unruhestifter wurden bereits einige
Tage zuvor festgenommen - kommt es weder zu Störaktionen noch zum
Tonausfall. Im Gegenteil. „Begeistert begrüßen die Massen den
Führer, immer wieder brausen die Heilrufe empor", berichtet das
Propagandabuch „Deutschland erwacht". Zudem wölbt sich bei Hitlers
Auftritt ein Regenbogen über Stuttgart, was manche Verblendete als
besonderes Zeichen werten. Im November 1933 zieht das „Turnblatt aus
Schwaben" eine Schlussbilanz: „Letzten Endes ist das Deutsche
Turnfest eine Angelegenheit Deutschlands gewesen und zwar des
Deutschlands, das geschlossen und einig hinter seinem großen Führer
Adolf Hitler steht."
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