"Und keiner geht aufs Klo"
Pokalheld Franz Wohlfahrt und die Lust des
Torwarts beim Elfmeter (06/97)
Franz Wohlfahrt ist ein Mann für die gewissen
Stunden. Entscheidend muss es sein. Wenn's brennt in seinem Strafraum.
Oder wenn der Schiedsrichter Elfmeter pfeift. Dass man sich dann auf
einen Österreicher verlassen kann, auch wenn man Schwabe ist und sonst
gern Ösi-Witze erzählt, daran hat man sich in Stuttgart schnell gewöhnt.
Mittlerweile können die Fans im Daimler-Stadion eher weniger verstehen,
dass "der Franz" in seiner Heimat nur noch die Nummer zwei sein soll.
Immerhin
kann man auch als Stellvertreter gelegentlich zum großen Retter der
Alpenrepublik werden. Die Blätter in Wien, Salzburg und Graz haben sich
jedenfalls in den Ausgaben nach dem 6. September schier überschlagen,
wie Wohlfahrt (J hob scho an Glühwein trunkn auf der Bank") nach der
roten Karte für Michael Konsel auf den Platz sprang und mit drei
Klasseparaden die WM-Fahrkarte nach Frankreich festhielt gegen die wild
und in Überzahl anstürmenden Schweden. Vielleicht sollte man der
Fairness halber anfügen, dass Wohlfahrt seinen Stammplatz im
Austria-Team nach einer typisch österreichischen, also schwer
durchschaubaren Geschichte verloren hat und Konkurrent Konsel, AS Rom,
die besten Noten der Seria A in den Gazetten stehen hat.
Am besten erschließt sich der Franz, der nicht nur
wegen seiner 15 österreichischen Titel (sechsmal Meister, fünfmal
Pokalsieger, vier Supercups mit Austria Wien) von sich behauptet, ein
Erfolgsmensch zu sein, in seiner Muttersprache. Holger Gayer hat den
Unternehmer (Besitzer einer Modell-Agentur), der im Verdacht steht, ein
Intellektueller zu sein, in der "Stuttgarter Zeitung" über seinen
Kärntner Landsmann Peter Handke und dessen berühmten Roman "Die Angst
des Torwarts vor dem Elfmeter" reden lassen. Wobei für Wohlfahrt "dös
Buch jo eigentlich nix mit Fußball zum tun bot, sondern mit der Angst
des Menschen vor dem Leben oder dem Erfolg". Die plagt den Mann mit der
Nickelbrille nicht. Den Elfmeter aber nennt er "die absolute Situation".
Also Franz, erzähl:
"Des is' des Größte. Der Spieler steht vor dir, der
Ball liegt, du host olle Zeit der Wölt. Du kannst dich konzentrieren.
Jeder
schaut auf uns, keiner beißt vom Wurschtbrot ab, keiner bohrt in der
Nase, keiner geht aufs Klo zum Scheißen. Es is' Elfmeterschiaßn.
Verstehst- In dem Moment wüi i olles schaffen, von was i immer träum': I
wüi den Ball hoitn ohne zu denken. I wüi des Denken abschalten. 1 hob
kein Laptop und auch kein Berater. Der Lehmann von Schalke mocht des;
super, für ihn is des guat. Für mi net. Mir is' vollkommen egal, wer
schiaßt. Wenn sich der Ball vom Fuaß des Schützen wegbewegt, dann
reagier' i. Net früher. Wenn i spekulier'n wüi, dann kann i ins Kasino
geh'n und auf Rot setz'n. Des wüi i riet. Und i waß vorher schon, ob i
den Ball hoit oder net. I gschpür des. Aber nur selten gelingt's mir, an
nix mehr zu denken. Manchmal überleg' i, was passiert, wenn i den holt,
wie mia dann feiern und saufen. Des is' falsch. Nur wenn i an nix denk',
holt i den Ball. Des is' mei Art des Zen-Buddhismus. Du schalt'st alles
aus und bist nur noch da. Und dann wirst zur Einheit mit dem Ball, den
Zuschauern, der ganzen Wölt."
Schöner hat noch keiner den Orgasmus des Torwarts
geschildert. Darüber gibt's nur noch eines, "an Titel holen, weil des
is' des Größte im Fußball". Weshalb der Franz das Pokalfinale von Berlin
auch nie vergessen wird: "Wenn i vierzig bin und aufg'hört hob und im
Wirtshaus beim Schnaps'n sitz, werden's mi ansprech'n und frag'n, wie's
damals war in Berlin. Und i werd' antworten: geil."
Hochdeutsch oder englisch hätte sich die Geschichte
vom Franz nicht so gut angehört.
|