EIN BLAUER WURDE ROT
VON UNBEKANNT (06/92)
Zu
Walter Kelschs Zeiten beim VfB gehörte so etwas wie auf dem Rückflug von
Bremen nach Stuttgart fast zur Tagesordnung:
Ein bisschen Spaß muss sein. Man hatte, was in Bremen
ja bekanntlich nicht so oft vorkommt, gegen Werder gewonnen, und Kelsch
und Roland Hattenberger, der "Spezialist" für solche Fälle, banden im
Flugzeug die Schlaufen der Lederjacke des vor ihnen sitzenden Trainers
Buchmann zusammen. Einer von beiden ging nach vorne und ließ den
damaligen VfBTrainer ausrufen, und Buchmann zuckte und zappelte und hing
gefesselt im Sitz, sehr zur Gaude seiner Spieler, die ihm, so Kelsch, im
Trainingslager im Hotel Monrepos auch schon mal den Salzstreuer öffneten
und ähnliche Scherze mehr. "Ob´s heute so etwas noch gibt", fragt sich
Walter Kelsch und weiß natürlich, dass sich die Zeiten geändert haben:
"Heute ist im Profifußball alles sachlicher und unterkühlter geworden",
sagt Kelsch, aufgrund der starken Medienpräsenz seien die Spieler fast
ständig unter Beobachtung. "Und vielleicht war es von Vorteil, dass fast
alle Spieler aus der Umgebung kamen." Kelsch war ein Individualist am
Ball, aber, wie er betont, nicht ohne sich in die Mannschaftsdisziplin
einzufügen. Fußball machte ihm in erster Linie Spaß, Fußball und das
rundherum. Bei Jahn Büsnau hatte er angefangen. Von seinem Talent
bekamen die Stuttgarter Kickers Wind, in Degerloch hatte Kelsch die
ersten Erfolge, was sich freilich nicht immer in barer Münze auszahlte.
Es war die Zeit der gähnend leeren Kassen bei den
"Blauen", und Walter Kelsch, der auch im Erzählen ein wahrer
Unterhaltungskünstler ist, schildert anschaulich die Situation, wenn der
legendäre Ex?Präsident "Papa" Queissner vor die Mannschaft treten und
mit Trauer in der Stimme verkünden musste: "Bube', heut' gibt's noch mal
koi Geld." Als Entschädigung packte dann der Gastronom des
Mannschaftsquartiers eine Wurst mehr als sonst üblich ein. 1977
wechselte Kelsch von den Kickers zum VfB.
"Ich
habe drei Trainer erlebt", sagt er im Blick zurück, "Sundermann,
Buchmann und Benthaus, es waren sieben absolut erfolgreiche Jahre. Dafür
bin ich heute noch sehr , sehr dankbar." Kelsch wurde einer der besten
Stürmer der Liga. Er brachte es auf 202 Spiele, 51 Tore und schließlich
auch auf vier Einsätze in der Nationalmannschaft. 1984, nach der
Meisterschaft, wollte er etwas Neues erleben. Er spielte für Racing
Straßburg. Danach verbrachte er zwei Jahre beim FC Homburg, wo er sich
spaßeshalber schon mal als Auslaufmodell" bezeichnete, und hängte dann
noch ein Jahr in Griechenland an: Bei Panathinaikos hatte er
unterschrieben, aber für Apollon Athen musste er spielen. Nach dem Ende
der aktiven Karriere trainierte er noch zwei Bezirksligisten
(Plattenhardt und Besigheim), aber mittlerweile betätigt er sich
fußballerisch nur noch bei Einsätzen in der VfB-Traditionsmannschaft
oder in Prominenten-Teams wie dem von Dieter Burdenski.
Beruflich? Walter Kelsch hat sich zum
Versicherungskaufmann und zum Vermögens- und Anlageberater ausbilden
lassen. "Es hat schon viel Überwindung gekostet, sich noch mal auf die
Schulbank zu setzen", sagt der heute 45jährige. Aber jetzt arbeitet er
in Stuttgart mit zwei Firmen im Finanz-Dienstleistungsbereich. Walter
Kelsch blickt auf seine Zeit beim VfB zurück: Man habe einige
Nationalspieler hervorgebracht, aber national und international sei der
erhoffte große Durchbruch nicht gelungen. "Es ist leider versäumt
worden, im richtigen Moment zu investieren", sagt Walter Kelsch, und das
sei auch die Meinung der Kollegen von der Meistermannschaft 1984
gewesen, als man sich vor zwei Jahren zum zehnjährigen Titeljubiläum im
"Kachelofen" traf.
Walter Kelsch zur Situation heute: Der VfB müsste
weitere Erfolgs- und Führungstypen wie Verlaat, Balakov und Boboc holen,
"die bringen vom Können und von der Mentalität her alles mit". Dann
könnte es wieder eine schöne Zeit werden auf dem Wasen.
(1996)
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