ALLGÖWER VS. MAYER-VORFELDER 1985
Kalter Krieg in Stuttgart
Der
mündige Profi war beim VfB Stuttgart Mitte der Achtziger
nicht gefragt. Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder
maßregelte Karl Allgöwer, weil der sich für die
Friedensbewegung einsetzte. Im Magazin "11 FREUNDE"
erinnert sich Allgöwer an den Disput mit seinem Boss.
Es waren bewegte Zeiten, diese Achtziger. Auch wir
Fußballer konnten uns den politischen Ereignissen der
Zeit nur schwer entziehen. Wie auch? Aufrüstung,
Kernkraft, Kalter Krieg - das waren Probleme, mit denen
wir auch in Mitteleuropa unmittelbar konfrontiert
wurden.
Als ich gefragt wurde, ob ich bereit sei, mich für
die Initiative "Sportler für den Frieden" zu engagieren,
musste ich nicht lange überlegen. Was ist schließlich
wichtiger als ein friedliches Zusammenleben der
Menschen? Zumal in meiner unmittelbaren Nachbarschaft,
im 30 Kilometer von Geislingen entfernten Mutlangen, ab
August 1983 Pershing-II-Raketen stationiert wurden.
Ich nahm fortan also von Zeit zu Zeit an regionalen
Protestaktionen gegen Nachrüstung teil: Und hätten wir
am 22. Oktober 1983 mit dem VfB Stuttgart nicht im
Neckarstadion gegen den FC Bayern spielen müssen - ich
hätte mich bestimmt in die über 200.000 Demonstranten
eingereiht, die zwischen Stuttgart und Neu-Ulm eine
Menschenkette bildeten. Nicht zuletzt deshalb, weil die
Auftaktkundgebung zu dieser Aktion zufällig in meiner
Heimatstadt Geislingen stattfand.
Während zuhause also die Massen für den Frieden
demonstrierten, gewann ich mit dem VfB 1:0 gegen die
Bayern. Na klar, ich war Profi und das Spiel gegen die
Bayern naturgemäß eines der wichtigsten in der Saison.
Als ich jedoch erwähnte, dass ich - wäre die Demo auf
einen anderen Tag gefallen - ganz sicher in der
Menschenkette gestanden hätte, legten einige Reporter es
so aus, als wäre mir Protest wichtiger als Fußball.
Der Präsident des VfB, Gerhard Mayer-Vorfelder, war
davon natürlich nicht begeistert. Aber was ich in meiner
Freizeit machte, ging niemanden etwas an. Das änderte
sich jedoch an einem Tag im April 1985. Als "Sportler
für den Frieden" machten wir uns gerade gegen das
SDI-Programm stark, den von US-Präsident Ronald Reagan
angeordneten Aufbau eines Abwehrschirms gegen
Interkontinentalraketen ("Strategic Defense
Initiative").
Kanzler Helmut Kohl hatte die Zustimmung der
Bundesregierung zu dem US-Programm bekanntgegeben und
damit die Stationierung von Waffensystemen im Weltall
gebilligt. Unseren Hoffnungen auf Abrüstung wurde damit
ein erneuter Schlag versetzt. Also riefen wir zu einer
Unterschriftenaktion auf.
Eines Tages hängte ich auch in der VfB-Kabine am
schwarzen Brett eine Liste auf, falls sich Mitspieler an
dem Protest beteiligen wollten. Ich habe mir nichts
dabei gedacht, habe auch keinen Kollegen beeinflusst
oder großartig für die Angelegenheit geworben. Ich
wollte nur die Chance nicht ungenutzt lassen. Die
Resonanz war eher schwach. Viele haben es gar nicht zur
Kenntnis genommen, einige hatten keine Lust, ihren Namen
dafür herzugeben.
Am Ende haben außer mir nur Jürgen Klinsmann und
Reiner Zietsch unterschrieben. Na und? Besser drei
Unterschriften für den Frieden als gar keine. Als aber
der Präsident von der Aktion Wind bekam, muss er
ziemlich sauer gewesen sein.
Mein Engagement für den Frieden habe ich danach
völlig auf die Freizeit begrenzt - und es gab bis zum
Ende meiner Karriere auch keine Klagen mehr. Die Ironie
der Geschichte: Ein Jahr nach meinem Abschied warb im
Vorfeld der Landtagswahl in Baden-Württemberg 1992
plötzlich ein Teil der VfB-Mannschaft - Spieler wie
Matthias Sammer oder Eike Immel - für die CDU. Also für
die Regierungspartei, deren Finanzminister zufällig
Gerhard Mayer-Vorfelder hieß.
Aha, keine Politik in der Kabine, dachte ich. Wäre
ich da noch aktiv gewesen, hätte ich da garantiert nicht
mit gemacht. Auch wenn der Kalte Krieg schon längst zu
Ende war.
Protokoll: Tim Jürgens
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