KARL, DER KANTIGE
VON OSCAR BECK (06/92)
Karl
Allgöwer ist ein hundsmiserabler Hellseher. Als er im Sommer 1991 seine
Schussstiefel an den berühmt-berüchtigten Nagel an der Wand hängte,
verband er seinen Abgang mit dem Satz: "Wenn der VfB Erfolg hat, bin ich
schnell vergessen."
Der VfB hatte Erfolg - er wurde danach Deutscher
Meister. Trotzdem: Auf dem Cannstatter Wasen wissen nach wie vor alle,
wer Allgöwer war. D´r Wasa-Karle.
Damals, als er aufgehört hat, war das eine kleine
Beerdigung. Abschiednehmen ist immer auch ein Stück Tod. Oje VfB,
stöhnten viele: Künftig, ohne den Karle, würden die Freistöße garantiert
nicht mehr als Scharfschüsse aufs gegnerische Tor fliegen, sondern als
schlappe Flanken, denen man eine Heiße Rote mit Senf mitgeben muss,
damit sie unterwegs nicht verhungern.
"Kaaaarle!"
So hat sich der VfB-Anhang einjahrzehnt lang zu Wort
gemeldet, wenn´s irgendwo im vorderen Mittelfeld Freistoß gab.
Gemessenen Schrittes näherte sich der Gewünschte sogleich aus der Tiefe
des Raumes dem Ort des Geschehens und zeigte dem Schiedsrichter seinen
Waffenschein. Dann schüttelte er kurz mal das rechte Bein aus, das im
nächsten Moment, in gestrecktem Zustand, die Form einer Panzerfaust
annahm. Anschließend gab der Stadionsprecher den neuen Spielstand
bekannt, mit einem Hinweis für Außenstehende und Augenkranke: "Das war
Knallgöwer."
"Sag mal", hat ihn mal Gaudino bei einem Spiel gegen
Gladbach 35 Meter vor dem Kasten entgeistert gefragt, "willst du etwa
aufs Tor schießen?" Allgöwers Antwort: Er knallt dem Torwart Kamps die
Kugel mal rasch durch die Beine.
Elf Jahre Allgöwer. "Vergoldet diesem Mann die
Beine!", hat die Bild Zeitung einst verlangt. Keine üble Idee, denn der
Gelobte hat für den VfB auf der großen Ballbühne in tragenden Rollen
Triumphe gefeiert, als Wildschütz und Ballermann. 333
Bundesliga-Einsätze, 127 Tore. Er war Nationalspieler, deutscher
Meister, nur eines wollte er niemals sein: everybody's darling.
Auf Deutsch: jedermanns Dackel. Einfach war er nie.
Als Karl der Kantige hatte er das Brandmal des Aufsässigen in der Stirn.
"Allgöwer
denkt negativ", schimpfte schon Jürgen Sundermann, sein erster Trainer
beim VfB.
"Ein Querulant brummte später Coach Coordes.
"Bruddelmäßig könnte er Walter Schultheiß junior
sein", ergänzte ein Lokalblatt.
Allgöwer, der Rebell. Der Eigenbrötler. Der
widerborstige Querschädel. Das war sein eckiges Etikett. Vielleicht hat
er es deshalb nur auf zehn Länderspiele gebracht - weil er auch vor Jupp
Derwall und Kaiser Franz die Hand nicht rund um die Uhr an die Hosennaht
legte. Schon in jungen Jahren war er aus der Kirche ausgetreten, weil er
den Missbrauch der Kirchensteuer nicht mitfinanzieren wollte. Und was er
dachte, das sagte er immer direkt. Dass er zum Beispiel gegen die CDU
sei, oder gegen Pershings, Apartheid und Umweltzerstörung - damit ihm
das jeder glaubte, ließ er sich sogar auf einer Müllkippe ablichten.
Karl der Kritische.
In Fachkreisen kursiert eine hübsche Geschichte. Bei
der WM '86 in Mexiko war Allgöwer mal mit Karl-Heinz Förster im Auto
unterwegs. Plötzlich kam ihnen, zu Fuß, ihr scharfer Kritiker, Paul
Breitner, entgegen - und Chauffeur Förster hätte den einsamen Tramper
wohl einsteigen lassen. „Fahr weiter", sagte Allgöwer, und Pechvogel
Paul sah nur noch die Rücklichter. Mit finsterer Miene stand er im
mexikanischen Staub der Landstraße.
Ja,
der Profi Allgöwer war immer ein streitbarer Geist, und er hat sich das
Leben dadurch nicht leichter gemacht. Den Torwart Illgner brachte er für
ein Foul vor den Kadi. Seinem Ex-Trainer Coordes legte er mal
therapeutisch nahe: "Es bringt nichts, wenn Sie lügen." Auch Arie Haan
weiß Bescheid: Er holte sich, als er aus erzieherischen Gründen das
Alb-Duo Allgöwer/Klinsmann im VfB-Quartier trennen wollte ("der Jürgen
muss seine Persönlichkeit unbeeinflusst entfalten"), an der Wand eine
Beule. "Mit mir", ist Karl der Grantige mal ins Grundsätzliche gegangen,
"macht keiner den Bären." Don Carlos. Oft genug hat Gerhard
Mayer-Vorfelder in der Tasche die konservative Faust geballt und mit
Schiller ins Kissen geweint: Der Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich
zu werden. In der Not hat der
Präsident seinen unbequemen Kicker mal als einen um jede Mark
feilschenden
"Salon-Sozialisten" analysiert und
in die Journalisten-Ecke gefragt: "Warum nimmt den Karl mit seinen
granatenmäßigen Widersprüchen denn keiner auseinander?" Tröstlich für
den VfB-Boß: Sein Linksdenker blieb wenigstens bis zum Ende ein
Rechtsfüßler auf dieser Basis sind sie sogar fast noch Freunde fürs
Leben geworden. Karl der Große. Weil die Stelle des
VfB-Managers bei seinem Abgang
schon besetzt war, ist er Verkaufsleiter eines Textil-Unternehmens
geworden. Nebenher weist er als Vorstandsmitglied der "Vereinigung der
Vertragsspieler" junge Bundesliga-Kicker auf ihre Rechte hin - so ist er
dem Fußball doch noch erhalten geblieben. Gut so. Denn die Typen sterben
aus.
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