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Magazin für Tradition, Mythos und Kultur
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  unabhängige Vereinspage über die Profimannschaft des VfB Stuttgart 1893 e.V.       11. Jahrgang

 
 
 


 
    

KALLI BARUFKA ODER DIE SEHNSUCHT NACH DEN LINKEN

VON HANS BLICKENDÖRFER

Den Kalli Barufka habe ich vor allen anderen VfB-Spielern kannengelernt. Das ist im garstigen Winter von 1946 gewesen im behelfsmäßigen Einwohnermeldeamt meiner Heimatstadt Pforzheim. Für einen, der sich wie ich selbst aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen hatte, war es unerhört schwierig, ordentliche Papiere zu bekommen. Aber ich bin auf einen Beamten mit Herz gestoßen, der auch seine Kriegserlebnisse hinter sich hatte und der seine Vorschriften durch selbständiges Denken ersetzte. Staatliches Denken war ihm wurscht. Außerdem gab es gar keinen Staat. Aber es gab den Fußball. Und der hat an diesem Tag ein ganz spezielles und fast unglaubliches Tor für mich geschossen. Es entsprang einem völlig unbeabsichtigten und unvorhergesehenen Doppelpass mit Karl Barufka.

Als ich in das Zimmer hineinkam, in dem Schicksale entschieden wurden, wie es heute bei Asylanten der Fall ist, verabschiedete sich ein hagerer blonder junger Mann von dem Herrn hinter dem wackligen Schreibtisch, der den Besucher entließ mit den Worten "und nun viel Glück Herr Barufka in Pforzheim". Dann schälte er sich umständlich einen grünspanigen Dienstapfel, ehe er sich mir widmete. Mein Fall, das zeigte sich schnell, war schwieriger. Aber er entwickelte sich sehr schnell günstig, als ich ihn fragte, ob das der Barufka von Schalke gewesen sei. "Klar", grunzte er schmatzend und schob mir einen Apfelschnitz über den Tisch. "Sie verstehen was vom Fußball?"
"Klar", sagte ich. "Ich habe in der Jugend beim Club gespielt." Man muss dazu wissen, dass der 1. FC Pforzheim in dieser Stadt nach Nürnberger Vorbild nur Club genannt wird. Er ist immer noch mein Club, aber an diesem Tag ist er größer und bedeutender als alle Klubs der Welt geworden.
"Kommt der Barufka", fragte ich, "zum Club?"

"Klar", sagte er. "Sie haben ihn gekauft mit 20 Uhren und einer Wohnung. Die sind rar in einer zerbombten Stadt, wie Sie vielleicht wissen."
Ich nickte, weil ich in einem Keller hauste, und bekam einen neuen Apfelschnitz. Und wir waren immer noch bei der Vorrede, die sich als sehr nützlich erweisen sollte.
Die Vereinsmäzene der Gold? und Uhrenstadt hatten sich zusammengetan, um dem Club ein Ass zu bescheren. Für Pforzheimer Fabrikanten war dieser Barufka aus Schalke ein lupenreiner Fußball-Diamant und 20 bruch- und wasserfeste Armbanduhren waren 1946 ein Kapital.
Sache ist auf jeden Fall gewesen, dass, mit Hilfe des Fußballs, auch mein Fall klar war, als wir den Apfel verputzt hatten. Ein Freund des Fußballs begegnet einem anderen Freund des Fußballs anders als anderen Leuten. Und selbstverständlich bin ich, nachdem ich kein papier- und rechtloser Asylant mehr war, zu jedem Heimspiel ins Brötzinger Tal gelaufen, um Barufka zu sehen. Per pedes, wie früher als Bub.

So lustig wie in der Kindheit war's freilich nicht. Einen Beruf muhte ich mir erkämpfen, zumal ich schnell erkannte, dass ich mich nicht messen konnte mit den Ganoven des Schwarzen Markts. Und als ich Volontär bei der Sportwelt in Stuttgart wurde, der ersten von den Amerikanern genehmigten westdeutschen Sportzeitschrift, wechselte Kalli Barufka vom 1. FC Pforzheim zum VfB. Die süddeutsche Oberliga, mitbegründet vom VfB-Präsidenten Dr. Fritz Walter, konnte auf einen wie Barufka nicht verzichten, und die Pforzheimer konnten und wollten einem wie diesem den Weg in die höchste Spielklasse nicht verbauen. Spieler von Klasse gehörten in die oberste Klasse, und die Währungsreform nahm den Uhren den Wert, die sie 1946 noch gehabt hatten.

Barufkas Wert für den VfB der Fünfzigehrjahre ist nach heutigen Begriffen in der Buchwald-Sammer-Klasse anzusiedeln. Es hat im deutschen Fußball jener Zeit nichts besseres gegeben als die Mittelachse Schlienz -Retter - Barufka.
Der Kalli freilich war ein Einzelgänger. Es ist vorgekommen, dass er sich in den Bus setzte und die Kollegen fragte, gegen wen man denn heute spiele. Er war einer von denen, die im Vorfeld jenseits von jeder Gefühlsregung sind, aber dann, wenn sich das richtige Feld vor ihnen auftut, "explodieren".

Bei ihm lässt sich trefflich diskutieren über Macken und Vorzüge, die dem geborenen "Linkser" angeboren sind, diesen Linksfüßler, deren Bogen sich beim VfB über Barufka und Blessing zu Michael Frontzeck spannt.
Ihre Eigenwilligkeit kann Spiele ebenso aufbauen wie kaputtmachen. Sie sind, weil man sie im eigentlichen Leben viel zu oft in ein Korsett zwingen will, das ihnen nicht behagt, im Spiel Freibeuter, die keine Gelegenheit versäumen, um zu beweisen, dass sie mehr können als jene, die glauben, alles recht zu machen, allein weil sie geborene "Rechtsler" sind. Und auf die Gefahr hin, belächelt zu werden, behaupte ich, dass sich Spiel und Politik da widerspiegeln. Die Linken der Politik haben viel Ähnlichkeit mit den Linken des Spiels.

Er Kalli Barufka, dessen 70. Geburtstag 1991 zu feiern war und in dessen linkem Fuß mehr Dynamik steckte als in dem von Ferenc Puskas, war nicht nur Fels in der Brandung, er konnte auch aus 30 Metern, wo Puskas noch bei seiner unnachahmlichen Vorbereitungsarbeit war, einen dieser Schüsse loslassen, die so fulminant sind, dass sie eigentlich eine Rauchfahne nach sich ziehen müssten. 
Brüder im Geist sind da Blessing und Frontzeck. Die Linkser sind eine Minorität. Deshalb lehnen sie sich im Spiel, unterbewusst oder auch nicht, so oft gegen das Diktat der Rechtsfüßler auf. Und deshalb geben sie oft genug das Salz in die Suppe. Man denke nur an einen Wolfgang Overath. Er hat anders gespielt als Kalli Barufka, aber wenn dem 1. FC Köln heute ein neuer Overath erwüchse, wäre es genauso, wie wenn dem VfB ein neuer Barufka zuflöge. Denn unstillbar und recht ist die Sehnsucht des Fußballs nach den unberechenbaren Linken.

     
   
     
   
     
   
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