DICKKOPF AUS BOTNANG
VON REINER SCHLOZ (06/92)
Vor
ein paar Jahren keimte im Neckarstadion neue Hoffnung. Auf den
Spruchbänder der Anhängerschaft stand: Jürgen, komm nach Hause!" Der
Versuch ist gescheitert. Er fühle sich sehr geehrt, ließ Jürgen
Klinsmann alle VfB-Fans wissen, aber er werde nicht nach Stuttgart
zurückkehren.
Vielleicht ist es besser so. Es hilft nichts, sich im
Fußball an die Vergangenheit zu klammern. Jürgen Klinsmann sucht immer
das Neue, das Unbekannte, die Herausforderung. Er hat alles gefunden.
Inter Mailand - da konnte der VfB im Sommer 1989 nicht mehr mithalten.
Das fing beim Geld an und endete mit Klinsmanns Eigenarten, die ihn 1988
zum "Fußballer des Jahres" machten. 70 Prozent der kicker-Leser hatten
für ihn gestimmt, ein einmaliger Liebesbeweis. Gerhard Mayer-Vorfelder
wusste, welchen Sympathieträger er da im Team hatte. Der VfB-Präsident
kämpfte wie ein Löwe. Aber mit Jürgen Klinsmann war nicht mehr zu reden,
schon gar nicht über Geld. "Der Jürgen erzählt dauernd von der neuen
Sprache, der neuen Mentalität und dem neuen Land", mußte Mayer-Vorfelder
einsehen, "den kannst du nicht halten."
Schuld war im Grunde ein wunderschönes Tor. 70.000
Zuschauer saßen im November' 87 im Neckarstadion, als die Münchner
Bayern kamen. Und Jürgen Klinsmann hob ab. Er lag quer in der Luft, mit
dem Rücken zum Tor. Gegenspieler Hansi Pflügler konnte nur noch den Kopf
einziehen. Der Ball landete genau im Winkel. Tor des Jahres.
Der Treffer ging per Video um die Welt - und Klinsmann startete durch.
Wie ein Hasardeur stürmte er fortan in den Strafraum, in die Herzen der
Fans und wurde zum einzigen deutschen EM-Sieger 1988.
Im Mai desselben Jahres saß Signor Paolo Giuliani auf
der Haupttribüne des Münchner Olympiastadions. Bayern gegen den VfB,
Endstand 3:3. Der damalige Manager von Inter Mailand stand einen Tag
später vor der Haustür von Jürgen Klinsmann in Geislingen. Das war der
Anfang des italienischen Traumes, der im Jahr 1990 mit dem Gewinn der
Weltmeisterschaft in Rom seinen Höhepunkt erreichte.
Was für eine Karriere! Aber auch Jürgen Klinsmann hat
klein angefangen. Im Sommer '84 kam ein netter Junge von den Kickers auf
den Wasen. Ein Rohdiamant, der oft nicht wusste, wohin mit seiner Kraft,
unbeständig, unberechenbar. Er schoss mal fünf Tore gegen Düsseldorf und
dann wieder sieben Wochen keines. Er kam aus der Versenkung, um Kölns
Idol Toni Schumacher drei Dinger ins Netz zu setzen.
Aber der junge hatte was: dieses Lächeln, gesunden
Menschenverstand und einen Dickkopf. Wegen ein paar Toren wollte er sich
nicht ändern. Die Freunde in Geislingen blieben seine Bezugspersonen und
natürlich Karl Allgöwer. Klinsmann war der positive Typ, der im Urlaub
auch mal durch die USA trampte. Einer, der sich diebisch freuen konnte,
wenn er sein altes Käfer Cabrio durch den TÜV gemogelt hatte. Einer, der
mit 25 eben noch nicht, wie branchenüblich, Familienvater war. Er hatte
ein Herz für die Fans. So schlitterte er in die Rolle des Strahlemanns.
Klinsmann, Inbegriff eines sorgenfreien und erfolgreichen Lebens. Ein
netter junge, der Schwarm aller Schwiegermütter. Und keiner jubelte so
schön wie er.
Es
wurde ihm unheimlich. Verdammt noch mal, so chemisch rein war er doch
gar nicht. Er wollte Fehler machen dürfen. Sein Privatleben ging niemand
etwas an. Er wurde sauer, wenn seine Eltern in der Bäckerei in Botnang
mit hineingezogen wurden in die Geschichten, die über ihn geschrieben
wurden. Noch heute führt er aufrecht einen Kampf gegen die
Boulevardpresse. Er hat nichts gegen harte Arbeit, aber er braucht auch
Leben. Fußball ist nicht alles. Aber er ist ein Vollprofi, weil er die
Möglichkeiten nutzen will, die ihm der Fußball bietet." Solche Typen wie
den Jürgen", sagt Mayer-Vorfelder immer wehmütig, "gibt es viel zu
wenig." Der feine Unterschied? "Wenn zu mir ein Fußballer sagt", so der
VfB-Präsident, "er gehe auch wegen der Sprache nach Italien, empfehle
ich ihm einen Kurs an der Volkshochschule. Aber dem Jürgen, dem glaube
ich das."
Entsprechend
war der Abschied am 10. Juni '89: Nach 155 Bundesligaspielen, 79 Toren
und einem 2:1 -Sieg gegen Mönchengladbach sagten die Fans schweren
Herzens Servus. "Viel Glück, Jürgen" und "Viel Spaß bei Inter" stand auf
den Plakaten. jeder gönnte es ihm. Jürgen winkte tapfer.
Mehr als drei Jahre sind vergangen. Klinsmann hat die
Wohnung in Geislingen noch, das alte Käfer-Cabrio, die alten Freunde und
ein Sportgeschäft dazu. In Cernobbio am Comer See hat er sich ein Haus
mit einem Türmchen gekauft. Es hat ihn nicht sesshaft gemacht. Inter ist
Vergangenheit. Nach einer schweren Saison und zähem Ringen zog Klinsmann
weiter Richtung Frankreich. Das alte Lied: eine neue Herausforderung,
eine neue Sprache. AS Monaco, an der Cote d´Azur. Auch ein schöner Fleck
zum Leben. Dann kam noch München und England!
Und der VfB? Jürgen wird nie vergessen, dass er hier
groß geworden ist. "Ich komme gern immer wieder zum VfB - auf einen
Kaffee", sagt Jürgen Klinsmann, "es ist ein verdammt gutes Gefühl, zu
wissen, dass sich die Leute freuen, wenn ich komme." Ein bisschen
Sentimentalität gehört dazu. Aber man soll es nicht übertreiben.
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