WELTMANN VOM WASEN
VON MARTIN HÄGELE (06/92)
Man
braucht schon etwas Glück, Hansi Müller am Telefon zu erwischen. Den
Chef von Hansi Müller Marketing, so heißt die Agentur, die er im
Januar'92 gegründet hat. Alles nicht mehr so einfach wie früher, als
Hansi Müller noch Angestellter war: beim VfB Stuttgart ('75?'82), bei
Internazionale Mailand ('82/'83), in Como ('83/'84) in Innsbruck bei
Swarowski (bis'91).
Hansi Müller erzählt von der idealen Verkehrslage in
Holzkirchen. So schön das Leben in Innsbruck war, aber was die
Flugverbindungen betrifft, liegt die Tiroler Metropole am Ende der
großen Welt. "Allein 10 000 Kilometer pro Jahr zwischen Innsbruck und
Riem, und jetzt beim neuen Flughafen in Erding wären da bei jeder Tour
noch mal 80 Kilometer - mehr gewesen", das war dem Vielflieger und
Jung?Unternehmer dann doch zu viel Streß auf der Straße. Also heim nach
Deutschland. Holzkirchen. Warum nicht ganz heim, an den Neckar, Hansi?
"Nach zehn Jahren im Ausland tut man sich schwer, sich wieder in der
alten Welt einzuordnen. Man hat seinen eigenen Rhythmus gefunden", sagt
Hansi, er habe nur noch zu wenigen Leuten in Stuttgart Kontakt.
Hansi ist ein Großer im Fußball. Ein Hombre del mundo. Ein Weltmann. Er
parliert italienisch perfekt, englisch sehr gut, spanisch relativ
fließend, um im französischen richtig drin zu sein, braucht er ein paar
Stunden Anlauf. Und im deutschsprachigen Raum variiert er. Sicher, der
schwäbische Akzent schlägt immer wieder durch, aber die Münchner kriegen
ein paar bayerische Idioms eingestreut, und die Österreicher bekommen
den Dialekt, den sie wollen.
Meistens
beginnt Hansi seine Gespräche eh mit einem Witz. Heute mal kein Witz,
bleiben wir ernst, reden wir vom VfB.
"Heute bin ich Sympathisant des VfB," sagt Hansi,
"ich seh' da vieles distanzierter." Aber erst dieser erweiterte
Blickwinkel habe ihm geholfen, seine Stuttgarter Vergangenheit richtig
zu sehen. Sportlich gesehen war die Zeit beim VfB Hansis schönste. "Doch
erst mit der Distanz ordnet man das Außergewöhnliche richtig ein", sagt
Hansi. "Damals steckten wir so intensiv mitten drin, wir haben gar nicht
registriert, was da so Besonders war."
Der Aufstieg aus der Zweiten Liga. Die Fußball-Festivals im
Neckarstadion. Und er als Publikumsliebling. Sein Aufstieg zum
Nationalspieler. 42 mal für Deutschland, Europameister, Vizeweltmeister.
"Komisch", sagt Hansi, "nachdem ich weg war aus Stuttgart, war auch
meine Nationalmannschaftskarriere vorbei." Neulich hat er sich mit dem
alten Kollegen Hermann Ohlicher unterhalten, wie verrückt diese Zeit
war.
Der Trainer: "Wenn beim Jürgen Sundermann ein Schuh offen war, dann sind
zwanzig Mann gleichzeitig gesprungen, um dem die Schnürsenkel zu
binden", sagt Hansi.
Oder
die Taktik. "Wir haben Harakiri-Fußball gespielt. Daheim haben wir alles
niedergerannt - auswärts haben wir den lieben Gott gebraucht. Wir
konnten unseren Stil nicht umstellen, wir kannten ja keine Taktik. Wir
haben auch im Training nie taktiert, da gab es nur eins: immer voll
drauf."
Noch heute lachen sich die alten Hasen kaputt, wenn Hansi Müller nach
Prominentenspielen von seinen Tagen als junger VfB-Hüpfer erzählt. Denn
Hansi spielt viel. Stammspieler in der Weltauswahl, bei den
Alt-Internationalen, in der Burdenski-Truppe, für eine Sparkasse, locker
35 Einsätze in einer Saison". Und was auffällt dabei: Hansi Müller ist
körperlich besser in Schuss als mit 20 im Neckarstadion, wo man ihn als
schwäbische Antwort auf Wolfgang Overath gefeiert hat.
Doch
es hat auch seine Zeit gebraucht, bis Hansi Müller diese Lockerheit
gefunden hat, die ihn zum Ideal-Typen eines Repräsentanten gemacht hat.
Hansi haderte lange mit seinem kaputten Knie. Ein Andenken an die
Bundesliga, für Hansi der Grund, warum er bei Inter Mailand nicht
richtig zum Zug kam und in die Fußballprovinz zu Como abgeschoben wurde.
Und dass einer wie er außer dem Titel Europameister keinen Meister in
seiner Visitenkarte aufführen konnte, das wurmte ihn fürchterlich. Hansi
Müller musste fast 32 Jahre alt werden, ehe er beim FC Tirol endlich
Champion und so etwas wie der deutsche Alpenkönig von Österreich wurde.
Möglicherweise holt er seinen nächsten Titel in neuer Funktion. Es fehlt
nicht an Angeboten von Klubs, die den früheren Weltklassespieler gerne
als Manager verpflichten wollen. Auch aus der Bundesliga.
"Irgendwie reizt mich das schon", sagt Hansi "aber dann wäre die schöne
Unabhängigkeit weg."
Die Unabhängigkeit des Vielfliegers,
Fernseh-Kommentators, Kolumnisten, Repräsentanten, Marketingmenschen,
ewigen Nationalspielers und Familienvaters aus zur Zeit 8150
Holzkirchen, Bayern, verkehrsgünstig an der Autobahn
|