DER MANN MIT DER MÜTZE
VON OTTO E. LACKNER (06/92)
Wo
ist die Mütze? Die Mütze war sein Markenzeichen. Die Mütze hat er immer
getragen, und sie war ihm auch dann nicht vom Kopf geflogen, wenn er
sich nach dem Ball hechtete. Die Mütze gehörte zu Günther Sawitzki, wie
dieser in den fünfziger und sechziger Jahren zum VfB Stuttgart gehörte.
Natürlich hat Sawitzki die Mütze noch. Eine Schiebermütze, gewiss nicht
mehr der neueste modische Schrei, aber für ihren Besitzer enorm wichtig.
Ohne sie ist er nicht ins Spiel gegangen. Sawitzki hatte keinen
Käppi-Spleen, und er wollte nicht etwas Besonderes sein, wie das heute
mancher Bundesliga-Keeper allein durch popiges Outfit zu sein versucht.
Seine Kopfbedeckung hatte einen einfachen Grund. Sawitzki hat streng -
nach hinten gekämmte Haare, ohne Schnörkel, ohne Schnickschnack, einfach
mit dem Kamm drüber und nach hinten durchgekämmt. So hat er's früher
gehabt, so hat er's heute noch - "Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann
sind das Haare in der Stirn, das kitzelt und kribbelt so blöde, das
macht mich verrückt." Deshalb die Schiebermütze.
Häufig gibt das Äußere interessante Aufschlüsse über
die Persönlichkeit. Eine Parallele lässt sich bei Günther Sawitzki
gewiss ziehen: So wie seine Haare liegen mussten, so spielte er Fußball,
so ging er durchs Leben geradewegs, sauber und korrekt, ein Mann ohne
Mätzchen.
Auch wenn er kein Schwabe ist - er hätte einer sein können, und in all
den Jahren ist er wahrscheinlich einer geworden. Es war im Jahr 1956,
als Günther Sawitzki vom SV Sodingen, einem Stadtteil von Herne, zum VfB
Stuttgart wechselte.
Trainer Schorsch Wurzer habe ihn damals geholt, sagt
er, aber es war mehr als ein Wechsel von einem kleinen zu einem etwas
größeren Klub. Vom Revier an den Neckar: Ein ganz anderer Menschenschlag
erwartete ihn, aber "Sawi" passte sich an, indem er das tat, was bei
Schwaben Anerkennung findet: Er schaffte.
Weil die Bundesliga und damit der Vollprofi zu den fußballerischen
Segnungen gehörten, die erst ein Jahrzehnt später eingeführt wurden,
ging er jeden Morgen "ins G'schäft". 35 Jahre lang arbeitete er bei Hahn
& Kolb. "Ich habe nicht lange zur Eingewöhnung gebraucht", sagt Sawitzki
heute, "ich habe sofort Leistung gebracht." Bei der Arbeit in der Firma
und im VfB-Tor.
Von 1956 bis 1967 gab's nur eine Antwort auf die Frage nach dem
VfB-Torwart. Er war beim Pokalsieg 1958 ebenso dabei wie beim
Bundesligastart 1963. Nicht ohne Stolz sagt Sawitzki: "Ich war immer die
Nummer eins."
Nur
nicht in der Nationalmannschaft. Dass er es insgesamt nur auf zehn
Länderspiel-Einsätze gebracht hat -darüber lacht er heute. "Ich war
Rekord-Nationalspieler", sagt Sawitzki, "auf der Ersatzbank."
Dass er eventuell ein paar Jahrzehnte zu früh auf die Welt gekommen war,
dass er zu späteren Bundesligazeiten das Zigfache von dem hätte
verdienen können, was damals einem Vertragsspieler gezahlt wurde? Das
bringt Günther Sawitzki nicht um den Schlaf. "Das wäre ja auch
Selbstzerfleischung", sagt er, "und ändern kann ich eh nichts daran."
Sein Trost: Ich hab' dafür mehr von der Welt gesehen." Eine Weltreise,
ein Trip nach Amerika, die Reisen mit der Nationalmannschaft, das hat
ihn entschädigt Zum Beispiel die WM 1962 in Chile. Ein Riesenerlebnis.
Gespielt hat Sawitzki zwar nicht, er musste Wolfgang Fahrian den
Vortritt lassen. "Ich habe olympisch gelebt", sagt er Hauptsache
dateigewesen. Für Sawitzki war das nicht nur so eine Redensart: "Man
kann auch durch Zuschauen viel lernen."
Die Einstellung gefiel natürlich dem Bundestrainer
Sepp Herberger. Etwas anderes an Sawitzki dagegen weniger. Hatte der
VfB-Torwart, was selten genug der Fall war, mal keine Mütze auf,
bändigte er seine Haare mit einem Gummi, und das konnte der
Bundestrainer, der keine Extras duldete, schon gar nicht leiden.
Bis 1967 stand Sawitzki beim VfB im Tor. Als er 33, 34 Jahre alt war,
hatte er seine stärkste Phase. Die WM 1966 in England, die hätte gepasst
für ihn, aber international war der Zug abgefahren und Hans Tilkowski an
der Reihe. Beim VfB löste ihn Gerhard Heinze ab, der "Flieger" - das
Kontrastprogramm zum Vorgänger.
Der war freilich noch längst nicht au dem Altenteil. 1970, als Sawitzki
schon 38 war, half er den VfB-Amateuren aus der Klemme. "Denen waren die
Torleute ausgegangen, alle verletzt." Amateur-Trainer Franz Seybold
fragte bei Günther Sawitzki an, ob er einspringen könne. Er konnte.
Ergebnis: 9: 1 Punkte aus den folgenden fünf Spielen, und beinahe wäre
der Aushilfskeeper sogar noch zu Meisterehren gekommen. Erst im Endspiel
um die Deutsche Amateurmeisterschaft wurde der VfB vom SC Jülich mit 0:
1 gestoppt.
Das war's aber immer noch nicht. Im selben Jahr tauchte der Mann mit der
Mütze und dem dunklen Seemannspullover sogar noch einmal in der
Bundesliga auf. Wieder hieß es: beide Torhüter verletzt. Wieder musste
der Routinier ran. Sawitzki: "Da stand ich nun wieder in einem
Bundesligaspiel zwischen den Pfosten - mit 38! Aber Angst hab' ich keine
gehabt." Das Wortspiel vom Tor im Tor kam nicht zur Anwendung.
In Gladbach unterlag der VfB 1: 4, gegen Frankfurt
siegte man im Neckarstadion mit 2: 1. "In Gladbach war ich nicht
besonders", erinnert sich Sawitzki an seine allerletzten
Bundesliga-Auftritte, "aber gegen die Eintracht habe ich, wenn ich mich
recht erinnere, ganz gut gespielt." Fußball spielt er nach wie vor, auch
heute noch, im Ruhestand.
Aber nicht mehr im Tor. jeden Montagnachmittag trifft
er sich mit ehemaligen VfBlern zum Kicken. Karl Bögelein ist dabei,
Lothar Weise, ein paar vom Freundeskreis, und in früheren Jahren waren
regelmäßig auch VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und
Ex-Nationalspieler Erwin Waldner mit von der Partie. Der Montag, das ist
ein Pflichttermin für ihn. Da spielt er Fußball, nur so zum Spaß. So wie
ihm der Fußball ein Leben lang Freude bereitet hat. Auch wenn manches
beschwerlicher war: "Freitags nahm ich immer die Sporttasche mit ins
Büro und bin abends den anderen ins Trainingslager nachgefahren."
Der VfB Stuttgart war für ihn mehr als ein Verein, zu dem er eben
gewechselt ist, weil die sportlichen Aussichten besser waren ("und
verdient haben wir damals beim Fußball auch schon was"). In den knapp
vierzig Jahren ist ihm der VfB ans Herz gewachsen. Mit seiner Frau wohnt
er in Heumaden, bei jedem Heimspiel sitzt er auf der Tribüne, und einige
Jahre lang trainierte Günther Sawitzki mit Erfolg die Jugendtorhüter
beim VfB Stuttgart.
Mittlerweile konzentriert sich der Pensionär
Sawitzki, der immer wieder auf einem Campingplatz auf der Schwäbischen
Alb anzutreffen ist, nur noch auf ein Torwarttalent: Enkel Markus, der
wie Enkel Michael beim VfB in der Jugend spielt.
Dem VfB Stuttgart habe er einiges zu verdanken, gibt
der frühere Nationaltorhüter zu verstehen. "Durch ihn habe ich meine
Popularität erlangt", sagt Günther Sawitzki und holt zum Beweis ein paar
Briefe vom Wohnzimmerschrank: "Hier zum Beispiel aus Polen, kaum zu
glauben, aber die Leute wollen immer noch Autogramme von mir."
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