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Magazin für Tradition, Mythos und Kultur
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  unabhängige Vereinspage über die Profimannschaft des VfB Stuttgart 1893 e.V.       11. Jahrgang

 
 
 


 
    

"SCHILLBÄR!"

VON REINER SCHOLZ (06/92)

Momentan befindet man sich wieder im Zustand der Annäherung. Aber nur geographisch. Von Stuttgart aus sind es bloß rund 200 Kilometer bis Straßburg. Dort hat Gilbert Gress mal wieder Erfolg. Racing ist in die Erste Liga aufgestiegen. Trainer Gress ist der König. 15 000 Zuschauer hat er schon in der Zweiten Liga pro Spiel ins schmucke Meinaustadion gelockt. Straßburg leidet besorgniserregend an Fußballfieber. Der VfB wünscht weiterhin alles Gute. Der Gruß kommt von Herzen.

Gilbert Gress. Es ist schon komisch. Kein anderer Ausländer, der je das Trikot mit dem Brustring getragen hat, hinterließ derart bleibende Eindrücke. Dabei hat Gress längst seinen 50. Geburtstag gefeiert. Und seine Fußballshow, an die man sich hier so gern erinnert, liegt auch schon weit mehr als zwanzig Jahre zurück. Von 1966 bis '71 spielte Gress beim VfB. In Zahlen: 149 Bundesligaspiele, 24 Tore. Aber das sagt nichts aus über Gress. Der Mann war ein Genie. Schwierig, sensibel, aber am Ball ein Ass. Gress, der Künstler, das konnte jeder sehen. Der eigenwillige Franzose war der erste Beatle in der Bundesliga. Aber das mit den langen Haaren konnte auf Dauer nicht gut gehen. Trainer Albert Sing schickte Gress bekanntlich im Zuge disziplinarischer Maßnahmen zum Frisör. Gress lachte- und war innerlich tief gekränkt. Für die VfB-Fans war Gilbert nur "Schillbär". Mehr Zuneigung ist hierzulande kaum möglich. Auch sein Abgang war bezeichnend. Bei Nacht und Nebel und gegen seinen Willen wurde er an Olympique Marseille verkauft. Der VfB brauchte dringend Geld, die Fans dringend Trost.

Die Liebe verging nie, weil es nie einen richtigen Abschied gegeben hat. Gress, das Temperamentsbündel, mauserte sich zum ehrgeizigen und erfolgreichen Trainer. Disziplin geht ihm über alles. "Manchmal", verriet er neulich, "telefoniere ich noch mit Albert Sing, wir verstehen uns besser als früher." Mit Xamax Neuchâtel wurde er zweimal Schweizer Meister, mit Racing Straßburg 1979 Französischer Meister. Immer wenn der VfB auf Trainersuche war, fragte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder bei Gress an. "Es ist wie verhext", bedauert Gress, "wenn der VfB einen Trainer brauchte, hatte ich noch einen Vertrag. War ich frei, brauchte der VfB keinen Trainer."
Jetzt hat der VfB Christoph Daum. Gress verfolgt in Straßburg neue Ziele. Es sind nur 200 Kilometer. Trotzdem ist es eine verdammt große Entfernung. Gress und der VfB - es ist wie verhext.

     
   
     
   
     
   
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