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Magazin für Tradition, Mythos und Kultur
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  unabhängige Vereinspage über die Profimannschaft des VfB Stuttgart 1893 e.V.       11. Jahrgang

 
 
 


 
    

DER VERHINDERTE WELTMEISTER

VON MARTIN HÄGELE (06/92)

Die vierte Meisterschaft des VfB hat Erich Retter so erlebt wie immer an den Samstagen, wenn seine Nachfolger auswärts spielen. Mit dem Lappen in der Hand, Radio an, beim Autoputzen. Oder wie er es sagt: "Neben der Wagenpflege." Da kam dann der Jubel aus Leverkusen.
Den etwas gehobenen Ausdruck fürs Schrubben und Reinigen eines Pkw hat Erich Retter aus seinem alten Beruf übernommen. Und es ist anzunehmen, dass jene Postkarte, die bis Sommer '84 in der Tankstelle an der Mercedesstraße über der Kasse hing, nun an der Wand der Retterschen Privatgarage einen Platz gefunden hat.
Die Postkarte mit dem farbigen Konterfei von Sepp Herberger. Viele der jungen Leute, die hier ihren Sprit bezahlten, konnten mit dem Kopf des legendären Bundestrainers nicht viel anfangen. Und noch weniger kannten die Story des Tankwarts Herberger, der Deutschland zum Fußball-Weltmeister gemacht hat und Kerle - wie Fritz:, Walter: und Helmut Rahn zu Göttern einer kriegsgebeutelten Generation .Einer dieser Helden von Bern, die in die Fußball-Geschichte eingingen, wäre auch Erich Retter gewesen.

Wäre, wenn. Wenn am 25. April 1954 beim Einweihungsspiel des Basler St. Jakobsstadion dem deutschen Abwehrspieler Retter nicht ein Innenmeniskus gerissen wäre. Zehn Wochen später wurde Deutschland Weltmeister. Mit Jupp Posipal aus Hamburg als rechtem Verteidiger. Retters Ersatzmann, Retters Stellvertreter kassierte den Ruhm ab, den der Stuttgarter gepachtet zu haben schien. Denn der knallharte und schnelle Verteidiger war bei Sepp Herberger nie zur Diskussion gestanden. 

Erich Retter war ein Mann nach Herbergers Geschmack gewesen. Aufrecht und ein Schaffer. Und er hat auch seine Zeit gebraucht, um den Schock zu verwinden, daß die andern plötzlich Weltmeister waren. Und er nicht. "Die Zeit kann man nicht zurückdrehen", sagt Retter zu diesem Thema. Hätte er ewig trauern sollen?
Für seine 14 Länderspiele und auch ein bisschen als Trost für sein Pech hat er vom Deutschen Fußball-Bund eine goldene Uhr geschickt bekommen. Und sein Klub griff ihm beim Aufbau seiner beruflichen Existenz unter die Arme. Eben mit jener Tankstelle, ein paar Schritte vom Neckarstadion.

Jede Menge Spieler und Trainer hat er zum VfB kommen und gehen sehen, und oft hat er sich mit ihnen beim Tanken unterhalten. Mit Gilbert Gress genauso wie mit den Förster-Brüdern. "Aber auch der Herr Schwemmle ist immer mit den VfB-Dienstwagen gekommen."

Der Schwatz zwischen Tanksäule und Kasse, mit diesen Kontakten hat er sich immer auf dem laufenden gehalten, was bei seinem Klub so geht. Im Neckarstadion hat man den Mann, der zu seiner Zeit ein Star war, ohne dass man diesen Begriff da schon kannte, dagegen nur selten gesehen. "Ich konnte doch nicht vor dem dicksten Geschäft fortrennen", erzählt er, die Leute wollten doch bei Bundesligaspielen bei mir parken und tanken. Und kurz vor dem Anpfiff, ungewaschen da rübergehen, das wollte ich auch nicht."
Erst nachdem er kurz vor seinem Sechzigsten in Ruhestand gegangen ist, wurde Erich Retter wieder zum Stadionbesucher. Doch weil Privatier nichts ist für einen, der körperlich und geistig gut beieinander ist", hat Erich Retter wieder angefangen zu arbeiten. In der Stahlbaufirma Heil in Wangen leitet Retter das Zentrallager und den Fuhrpark. Und alle 14 Tage samstags nimmt er seinen Chef mit zum VfB. 

Als sich am Tag der großen Meisterschaftsfeier auch das Fernsehen des alten Recken erinnerte, der an den Titeln '50 und '52 so großen Anteil gehabt hatte, sagte der 67jährige die Einladung ab. Retter: "Die haben kurz vor zwölf angerufen und wir waren schon privat zum Mittagessen verabredet. Außerdem soll die feiern, die in Leverkusen den Meister gemacht haben, die haben das verdient. Wir Alten, wir wären in diesem Trubel doch eh nur rumgestanden wie bestellt und nicht abgeholt." Gradraus gedacht und gesagt. So ist Erich Retter immer gewesen. Er hat keine Schlagzeilen gebraucht.
"Sehen Sie", sagt er, "diejenigen, die Weltmeister geworden sind, die haben sich doch alle hinterher geändert."
Nicht alle zu ihrem Vorteil.

Heute möchte Erich Retter mit keinem tauschen. "Ich bin zufrieden", sagt er, "ich habe das Beste aus meinem Leben gemacht. Ich habe schöne Stunden im Fußball, vor allem mit dem VfB erlebt und durch den Sport ist auch mein Geschäft gut gelaufen." Der Rückblick eines Mannes, der im wahrsten Sinne des Wortes an der Durchgangsstraße des Ruhms gelebt hat. Ein Blick zurück ohne Zorn.

     
   
     
   
     
   
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