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Magazin für Tradition, Mythos und Kultur
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  unabhängige Vereinspage über die Profimannschaft des VfB Stuttgart 1893 e.V.       11. Jahrgang

 
 
 


 
    

DER SCHWABENPFEIL

VON LUDGER SCHULZE (06/92)

Als sein Bruder schon Weltmeister war, rackerte Dieter Hoeneß noch in den Strafräumen der Amateurliga. Mehr freilich hielt er sich in den Studierzimmern der Uni Tübingen auf, an der er Englisch und Sport belegt hatte. Und wäre nicht Hans Blickensdörfer gewesen, wer weiß, ob Dieter Hoeneß nicht heute im Sportunterricht den perfekten Kopfstoß demonstrieren würde. Dem Herausgeber dieses Buches jedenfalls war der lange Blonde, der sich in der Jugend als Torwart der württembergischen Auswahl hervorgetan hatte, es dann aber vorzog, den einstigen Kollegen selbst die Bälle um die Ohren zu schießen, als Torjäger des VfR Aalen aufgefallen. Hans Blickensdörfer informierte den Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder, und der überzeugte - den Studiosus von den Vorzügen des Profilebens.

Dieter Hoeneß war sich seiner Sache nicht gerade sicher. Der Schatten des älteren Bruders und schließlich ist so eine bürgerliche Existenz ja auch nicht zu verachten. Aber Hoeneß wäre nicht Hoeneß, wenn er die Herausforderung nicht angenommen hätte. 1975 unterschrieb er einen Vertrag beim VfB, die Verhandlungen fanden im Münchner Haus von Uli statt. Der legte für seinen im Profi-Business unerfahrenen Bruder auch gleich die Höhe der Ablösesumme fest, "damit ich - im Falle eines Falles - leichter zu einem anderen Verein wechseln konnte". Der Fall sollte eintreten, doch davon später.

In seinem ersten Stuttgarter Jahr lief es für Dieter so lálá in der ausgebufften Truppe um Hitzfeld, Brenninger und Weller. Als es mit dem Wiederaufstieg in die Erste Liga nicht klappte, wurde Trainer Jürgen Sundermann geholt. Und damit begannen große Zeiten - für den VfB und für Hoeneß. "Es war eine ungeheuere Begeisterung, die Sundermann entfacht hat", erinnert sich der Mann, der sich schnell den Respekt der Zuschauer und vor allem das Gütesiegel "Schwabenpfeil" erwarb. Schwabenpfeil? Weil niemand so blitzartig und kraftvoll in die Flanken der Verteidiger Martin und Elmer, in die Vorlagen von Hansi Müller oder Walter Kelsch stieß. Das war der Stil des VfB: offensiv, was das Zeug hielt, und in der Mitte lauerte Hoeneß. Er könne mit seinem Schädel, hieß es, auch den Pfosten spalten, wenn nötig.

In der stark verjüngten Mannschaft herrschte eine tolle Stimmung. Und wenn doch wieder mal die Leute auf der Galerie oder die Presse an den technischen Fähigkeiten des Stürmers herummaulten, stärkte Sundermann ihnen den Rücken. Doch hinter dem Hurrastil steckten auch Schweiß, viel Schweiß, und Disziplin. In der Saisonvorbereitung zum Beispiel konnte der nette Sundermann auch zum Leuteschinder werden. "Einmal im Schwarzwald haben wir Bergläufe gemacht. Wo andere mit Seil und Haken hoch sind, mussten wir rennen", weiß Hoeneß noch. Die Plackerei machte sich bezahlt, der VfB stieg endlich wieder auf.

Und wurde auf Anhieb Vierter, wobei er einen bis heute gültigen Rekord aufstellte: 54 000 Zuschauer kamen im Schnitt zu jedem Heimspiel, Sundermanns Bubentruppe brachte das ganze Schwabenland auf Trab. Nie zuvor und nie danach entfachte eine VfB-Mannschaft eine derartige Euphorie. In der nächsten Saison, 1978/79, folgte die Belohnung in Form der Vizemeisterschaft, nur ein Pünktchen hinter dem HSV Zu Nationalspielern wurden zu jener Zeit die Förster-Brüder, Bernd Martin, Walter Kelsch, Hans Müller - und Dieter Hoeneß, der in zwei Partien gegen Irland und Island seinen durch 25 Bundesligatreffer erworbenen Ruf als Torjäger auch in der Nationalmannschaft durch drei Schüsse ins Schwarze erhärtete.

Natürlich war das seinem Bruder, der gerade als Manager bei Bayern München angefangen hatte, nicht verborgen geblieben. Uli brachte Dieter quasi als Morgengabe mit - für die einigermaßen lächerliche Ablösesumme von 175.000 Mark. Die hatte der ältere Hoeneß, siehe oben, für Dieter ausgekungelt. Und angesichts der Tatsache, daß dieser Wechsel ,der Transfer der Bundesliga in diesem Jahr" war, wie Dieter selbst sagt, kann man den Zorn von Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder durchaus verstehen, der von "Landesverrat" sprach. Doch der persönlichen Zuneigung der beiden hat dies letztlich keinen Abbruch getan.

Dieter Hoeneß tat sich in München zunächst sehr schwer, eingeklemmt zwischen den Stars Breitner und Rummenigge. Doch mit seiner Ehrlichkeit und Beharrlichkeit setzte er sich auch dort durch. "Mr. Europacup" nannten sie ihn nun, weil er speziell in den großen internationalen Spielen der Münchner große Leistungen bot. Und der Mann, der sich von einem Max Merkel als "Briefbeschwerer" oder von Paul Breitner als "Antikicker" bezeichnen lassen musste, erzielte immer wieder Tore von technischer Brillanz und Intelligenz, die in ganz Europa Verblüffung hervorriefen. Irgendwann auch in Kitzbühel, wo Teamchef Franz Beckenbauer im Jahr 1986 verzweifelt nach einer seltenen Fußballermischung suchte: nach einem Mittelstürmer, der gleichzeitig auch eine ungewöhnliche Persönlichkeit sein sollte.

Und so kam Dieter Hoeneß in relativ hohem Fußballeralter noch zur WM nach Mexiko und dort ins Finale gegen Argentinien (2:3).

Daß die Bayern seit seinem Rückzug vom aktiven Sport mehr und mehr in Schwierigkeiten geraten sind, der VfB Stuttgart hingegen besser und besser und sogar Meister geworden ist, hängt gewiss mit Dieter Hoeneß zusammen, der an den Ursprung seiner Profikarriere zurückgekehrt ist. "Hier hab' ich mich immer wohlgefühlt, bei den Leuten war ich stets beliebt. Selbst in den Jahren, in denen ich mit den Bayern nach Stuttgart gefahren bin, habe ich hier viel menschliche Wärme gespürt." Könnte sein, daß dies noch ein paar Jahre so bleibt."

     
   
     
   
     
   
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