EIN FEINER KERL - MANCHMAL AUCH FURS GROBE
VON OTTO E LACKNER (06/92)
Der
Konferenzsaal in der Nobel-Absteige beim Frankfurter Flughafen ist genau
das Gegenteil eines gemütlichen Partykellers. Aber Guido Buchwald hätte
dort am liebsten ein kleines improvisiertes Fest gefeiert, wie man es
eben im Kreise von Berufskollegen tut. Anlass: Er war befördert worden.
Guido Buchwald: Profi beim VfB Stuttgart, Nationalspieler, Weltmeister.
In der Branche zählte er längst zu den "upper ten", aber jetzt rückte er
auch noch in das "Vorstandsgremium - der Chefriege auf Bundestrainer
Berti Vogts schickte ihn in den Spielerrat der Nationalmannschaft: - Der
Guido ist zu einer echten Persönlichkeit herangewachsen."
Der Guido - jahrelang belächelt, oft nur geduldet,
hin - und hergeschoben, der Mann fürs Grobe in der Nationalmannschaft,
dem man jeden Fehler paß unter die Nase rieb. Und jetzt sitzt er im
"Vorstand" der Nationalmannschaft, jetzt sagt er, wo's lang geht.
Das war im Sommer 1992, kurz vor der Europameisterschaft und
Bundestrainer Vogts wusste schon, warum er vor dem Turnier in Schweden
auf den großen Blonden setzte. Einer wie Buchwald tut seine Arbeit ganz.
Und er schaut auch darauf, dass die Kollegen sie tun, "Guido Buchwald
ist eine Führungsfigur, wie man sie sich wünscht", sagt der VfB-Trainer
Christoph Daum. Gut, dass Guido Buchwald mit der Gabe des Vergessen
Könnens gesegnet ist. Wie oft hätte er den Bettel hinschmeißen können?
1984. Ein glänzendes Jahr für ihn. Unmittelbar nach
seinem Wechsel von den Stuttgarter Kickers zum VfB war er Deutscher
Meister geworden, Der Jungfuchs hatte wenig Zeit, die Meisterschale zu
streicheln. Jupp Derwall nahm ihn mit zur EM nach Frankreich, aber als
es dort zum "grand malheur" kam, lernte Guido Buchwald seine neue Rolle
kennen die des Sündenbocks. Er tröstete sich: bin ja noch jung. Mein
Ziel ist die WM in Mexiko."
1986. Drei Tage vor dem Abflug nach Mexiko sagte ihm
der Teamchef Franz Beckenbauer, dass er nicht mitdürfe zum großen
Fußballfest jenseits des Atlantiks. Buchwald fiel in ein Meer der
Enttäuschung - die Tränen flossen, als er die Koffer packen musste.
Unerbittlich verbreiteten es die Kamera-Objektive in jede Wohnstube:
Guck mal, der Riese weint. Der Teamchef sagte später, es sei für ihn die
schlimmste Situation seiner Amtszeit gewesen, aber Buchwald schwor sich
daheim in Walddorfhäslach bei Reutlingen: "jetzt erst recht."
1988.
Bei der EM in Deutschland reckte er rechtzeitig den Finger hoch. Das
hatte er von Arie Haan gelernt, der mittlerweile sein Trainer war beim
VfB. "Ich muss spielen, ich bin besser als Borowka", sagte er energisch,
und Buchwald spielte. Aber nicht lange. Im Spiel gegen Dänemark prallte
er mit Flemming Povlsen zusammen, ließ die Platzwunde nähen und kehrte
ein paar Minuten später humpelnd an die Seitenlinie zurück:
Leistenzerrung, EM aus und vorbei. "Das wirft mich nicht um", sagte
Guido trotzig.
1989. Der VfB Stuttgart im UEFA-Pokal-Endspiel gegen
den SSC Neapel. Buchwald und Maradona. Ein Traum!? Ein Alptraum! Im
ersten Finale, in der Feuerwerk-Kulisse des Stadio San Paolo, hatte der
VfB-Kapitän die gelbe Karte gesehen - und er hätte den griechischen
Schiedsrichter Germanakos hinterher in der Luft zerreißen können und das
gelbe Papier gleich mit: "Ich schwöre es, ich bin ausgerutscht, ich habe
den Careca gar nicht berührt." Aber nichts zu machen, es war die zweite
gelbe Karte, Buchwald musste beim Rückspiel im Neckarstadion, diesem
Jahrhundert-Ereignis für den VfB, wohl oder übel zuschauen. "Es tut weh,
aber ich muss mich damit abfinden", sagte er damals.
1990. WM in Italien. Da endlich hat das Glück die
Hand nicht mehr zurückgezogen. Keine Zerrung, kein Bänderriss, kein
Fehlpass, keine Intrigen, kein Opfer der Taktik. Guido Superstar! Als
Franz Beckenbauer nach dem gewonnenen Finale von Rom gefragt wurde, wer
denn sein wichtigster Spieler bei dieser Weltmeisterschaft gewesen sei,
überlegt er nicht lange: "Guido Buchwald." Im Finale gegen Maradona
zeigte er im siebten WM-Spiel seine siebte Weltklasseleistung." Da hatte
Guido Buchwald eine ganze Karriere lang gekämpft, gegen Rückschläge,
Widrigkeiten und Vorurteile, gegen Schwätzer und Schwalben. Und nun war
er endlich durch. Die Fußballnation breitete die Arme aus: Mensch,
Guido.
Der
Grund für den Erfolgs- und Popularitätsaufschwung? Es war eine Woche vor
der WM. Die Nationalmannschaft bereitete sich in Kaltern in Südtirol
vor, und wir saßen in einer dieser urigen Weinstuben. Da gewährte Guido
Buchwald einen Einblick in sein Innenleben. Es werde wohl seine erste
und letzte WM sein, meinte er, "in meinem Alter, ich bin jetzt 29". Er
sei zehn Jahre im Geschäft, jetzt mache es ihm nichts mehr aus, wenn die
alten Besserwisser kämen und es ihm wieder aufs Butterbrot schmierten:
Der Buchwald sei zuverlässig, aber bieder. Ob beim VfB oder in der
Nationalmannschaft, "für mich war es immer ein harter Kampf, sagte
Buchwald damals - und da hatte er den Kampf schon gewonnen. Er hatte
sich eine dickere Haut zugelegt, die Nadeln der Kritiker pieksten nicht
mehr durch. Okay, sein Laufstil ähnelt zwar nicht dem von Carl Lewis,
aber dafür machte er dann mit den Holländern den "Übersteiger" und mit
Maradona im Finale kurzen Prozess ...
Dieser Buchwald! Nun war er "unser Guido". Weil er
immer gekämpft hat, auch wenn ihn ein deutscher Teamchef heimgeschickt
oder ein griechischer Schiedsrichter fürs Endspiel gesperrt hat. "Es hat
sich gelohnt", kann er heute sagen, "ich habe mich letzten Endes immer
durchgesetzt."
Na ja, in einem Fall nicht. Nach der WM hätte er gar
zu gerne in Italien weitergespielt. Das Angebot aus Parma war
verlockend. Aber VfB-Manager Dieter Hoeneß wollte "mit Buchwald in die
neunziger Jahre". Das beste Pferd durfte nicht aus dem Stall. "Der Guido
hätte mir am liebsten seine WM-Goldmedaille ins Gesicht geworfen, so
wütend war er", berichtete VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder.
Aber Guido Buchwald ist, wie wir ja nun wissen, nicht
nachtragend. Der VfB verschaffte ihm eine Gehaltsaufbesserung und den
einen oder anderen Werbevertrag. Aus dem Fußballprofi ist längst der
Geschäftsmann (Beispiel: Tenniszentrum bei Tübingen) geworden. Und der
Zorn auf Mayer-Vorfelder? Längst verraucht. Bei den nächsten
Landtagswahl machte Guido Buchwald Wahlwerbung für seinen Präsidenten.
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