Stuttgart: “Kickers” statt “Aston Villa”
In Stuttgart interessieren sich in diesem letzten Jahr des
ausgehenden Jahrhunderts immer mehr junge Männer für die von Turnern so genannte
"Fußlümmelei". Einige jüngere Mitglieder des Cannstatter Fußball-Club 1890, in
dem Rugby tonangebend ist, verlassen enttäuscht diesen Verein. Es sind genau 21
Teilnehmer, die am 21. September 1899 kurzerhand und aufrührerisch den
Fußballclub Stuttgarter Cickers gründen. Einstimmig legen sie fest, dass die
Cickers-Kicker "Assoziationsfußball und Leichtathletik unter Verzicht auf Rugby"
betreiben. Dem verhandlungstüchtigen 2. Vorsitzenden der Cickers, Karl Levi,
gelingt es, einen Teil des Stöckach-Spielplatzes für den jungen Klub zu sichern.
Jeweils sonntags, in den Vormittagsstunden, dürfen die Cickers auf jenem Geläuf
üben, auf dem danach und sonst Rugby dominiert.
Gewählt werden bei den Cickers in Stuttgart nicht nur ein
erster und zweiter Vorsitzender, auch ein erster und zweiter Spielleiter sowie
ein Sprecher der Passiven. Die erste Satzung der Schwaben ist sparsam und simpel
verfasst, enthält aber klar die Ziele der Sportler und wird angenommen. So heißt
es, die Gelder dürfen nur zur Anschaffung von Spielgeräten und zur
Repräsentation des Klubs verwendet werden. Ein anderer Passus legt
unmissverständlich fest: "Das Aushelfen bei Wettspielen anderer Vereine ist
verboten, ebenso die Mitgliedschaft bei anderen Stuttgarter Vereinen, die die
gleichen Zwecke verfolgen."
Die Gründungsversammlung bestimmt auch die Vereinsfarben:
"Die Spielkleidung ist folgendermaßen: schwarze Hosen, weiße Blusen mit blauer
Streifung." Die Realität des Jahres 1899 lässt am Ende die Farben nicht zu.
Diese Kluft ist in der Farbzusammenstellung nirgendwo zu kaufen. Eine Kommission
sucht deshalb nach anderen Kombinationen. Die württembergischen oder städtischen
Farben kommen nicht zum Zuge. Nach Mühen und Debatten beschließen die
Vereinsgründer noch 1899, dass die Stuttgarter Cickers in Blauweiß um Siege
kämpfen werden. Diese Entscheidung fällt, weil die zehn Jahre alte Berliner
Viktoria das Vorbild der Schwaben ist - und die Spreestädter glänzen in
blauweißem Dreß. Keine Chance haben im Gründungsjahr der Cickers die Anträge,
den neuen Klub Viktoria oder gar Aston Villa zu nennen. Die ersten Gegner suchen
sich die späteren Stuttgarter Kickers in Zeitungsanzeigen.
Der Austritt der Kickers-Gründer bedeutet nach neun Jahren
das Ende des ältesten Vereins am Neckar. Die Mannschaften des Cannstatter
Fußball-Clubs 1890 und des FV 93 treffen sich noch einmal, wie in besten Tagen,
zu einem Spiel auf dem Stöckach in Stuttgart. Philipp Heineken, der Pionier und
Historiker des Sportgeschehens: "Hier standen nun nach Schluß des Spieles, in
einzelne Gruppen aufgelöst und sich unterhaltend, die Spieler beider Vereine
durcheinander, die meisten gegenseitig Freunde, die sich seit der Zeit der
Schule kannten oder seit Jahren miteinander oder gegeneinander Rugby gespielt
und es durch dick und dünn für zehn lange Jahre geführt hatten, wie eine große
Familie, bereit, sich die brüderliche Hand zum letzten Mal oder für immer zu
reichen. Mit wehmütigen Gefühlen alter Zeiten gedenkend, verabschiedeten wir uns
endlich und das war das letzte, was ich vom Cannstatter Fußball-Club sah und
hörte, mit Ausnahme von ein paar Mitgliedern gelegentlich auf einem der
Rugby-Tage, wo wir Cannstatt als Zeichen der Achtung für einige Jahre Sitz und
Stimme einräumten..."
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